Schauspielausbildung

Das Leben ist keine Karriereleiter

Dieser Artikel von Ines Langel ist eine Offenbarung und sollte von jeder Frau (und jedem Mann) gelesen werden – besonders, wenn man sich für eine Schauspielausbildung interessiert. Warum wir das glauben? Lies einfach den Text 😉

Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich?

Das sind die drei großen Fragen der Menschheitsgeschichte, auf die es ein paar einfache und auch sehr komplexe Antworten gibt. Religion, Philosophie, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft bieten solche Antworten an, die wir glauben können – oder auch nicht.
In unserer westlichen Gesellschaft geht der Mythos um, dass wir uns frei entscheiden können woran wir glauben, wer wir sein und wie wir leben wollen. Wir sind alle frei und gleich, als Individuen, geboren – so heißt es.

Glaube ich das?

Wir leben in einer Informationsgesellschaft, es gibt massenhaft Quellen, aus denen wir unsere Schlüsse ziehen, durch die wir eine eigene Meinung bilden können.

Tun wir das?

Männer und Frauen sind gleichberechtigt und nicht nur Gleichwertig, wir haben also die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Jeder einzelne ist für sich verantwortlich und es liegt nur an den individuellen Fähigkeiten, wie weit ein Mensch in seinem Leben kommt.

Stimmt das?

Alle Menschen, egal wie hell oder dunkel die Haut und egal, wie lange in Deutschland zu Hause, können an der Gesellschaft teilhaben, wir alle gestalten Deutschland und entwickeln unsere Gesellschaft weiter.

Ist das so?

Ist es nicht eine wunderbare Vorstellung, dass wir alle, diese und andere Fragen, für uns selber beantworten können? Sich Gedanken zu machen, bestehende Verhältnisse kritisch zu beleuchten, zu einem Ergebnis zu kommen, in den Dialog mit anderen zu treten, das macht uns zu mündigen Bürgern.

Entspann dich, das Leben ist nicht immer eine Karriereleiter

Bild: tim goedhardt / unsplash

Allerdings muss mündig sein vorher gelernt werden. Das ist anstrengend für alle Beteiligten: für das Individuum selber, für seine Eltern, die direkte Umwelt, die Lehrer, die Freunde, den Arbeitgeber. Wir müssen lernen die Meinung eines anderen Menschens auszuhalten – und wir müssen lernen auch unsere eigene Meinung auszuhalten. Wir müssen uns und andere Menschen tatsächlich als individuell verstehen und das nicht nur tolerieren, sondern gutheißen.

Wir leben allerdings in einer freien Marktwirtschaft, in der auch der Mensch am Markt gemessen wird. Wir sind alle zugleich Kunden und Ware. Der Kunde soll nicht nachdenken, sondern kaufen und die Ware soll sich leicht vermarkten lassen, also gefällig sein. Der Konfirmationsdruck ist enorm hoch. Schon als Kinder werden wir auf unser Leben als Kunden-Ware vorbereitet. Wir lernen zu gehorchen, wir lernen auswendig, wir lernen eine Funktion zu erfüllen. Auf dem Weg orientieren wir uns an Stereotypen, denn wir haben ja nicht gelernt uns selbst zu erforschen. Nachfolgend, aus nahe liegenden Gründen, die weibliche Entwicklung zum Kunden-Ware (denn auch wenn alle was anders behaupten, für Jungs sieht die Welt anders aus, wenn auch nicht rosiger).

Die Entfremdung beginnt im Kinderzimmer

Die Entfremdung vom Ich beginnt schon im bonbonrosa Kinderzimmer, in einer Glitzerwelt aus hübschen Kleidern, Puppenküchen und Schminksets – Matell und Hello Kitty wissen, was gut für uns ist. Es geht weiter mit sexy bauchfreien Tops und Highheels, nicht vergessen die Muschi zu rasieren, denn die Pornoindustrie will uns so sehen. In unserem Leben machen wir eine Diät nach der anderen und wir rennen in Fitnessstudios, um unseren Po zu trainieren, denn natürlich soll der Bauch flach aber der Hintern monströs muskulös sein.

So sehen wir es bei den Kardashians und so finanzieren wir, nicht nur sie, sondern auch die Diätindustrie. Natürlich machen wir Abitur und gehen studieren, denn eine Frau muss nicht nur sexy, sondern auch klug sein. Wir zahlen Steuern, verhandeln nicht über unser Gehalt, denn wir wissen, was sich für Frauen gehört und backen in unserer Freizeit hübsche kleine, rosaglasierte Törtchen. Wenn wir mit einem Partner leben übernehmen wir selbstverständlich die Hausarbeit, on top.

Und wenn dann die Kinder kommen, schlüpfen wir ganz selbstverständlich in die Rolle der Helikoptermutter, wir arbeiten halbe Tage und halten unserem Mann den Rücken frei. Währenddessen fotografieren wir unsere Duckfaces und posten sie bei Facebook und Instagram, wir haben gelernt, dass das Leben im Netz wichtiger ist, als das reale und ganz nebenbei bringen wir Facebook an die Börse. Wir blicken mit Mitleid auf die religiös indoktrinierten, die armen verschleierten Frauen, wie kann man nur so unfrei in patriarchalen Strukturen leben?

Was muss ich erreichen im Leben?

Bild: taya iv / unsplash

Das Leben ist keine Karriereleiter

Wie gut, dass wir freie Menschen sind. Komisch nur, dass sich die Lebensläufe freier Menschen so ähneln. Wie radikal kam mir da der Gedanke vor, der mir schon auf den Stufen der Theaterakademie entgegen leuchtete: „Das Leben ist keine Karriereleiter“. Wie clever dachte ich und musste fast ein bisschen weinen, weil ich mich endlich unter Gleichgesinnten wähnte. Ich hätte, wie so oft im Leben, enttäuscht werden können, wurde ich aber nicht.

„Sag nicht man, sag ich, wenn du von dir sprichst“, sagte Robert während der Vorstellungsrunde am ersten Tag zu mir. Ich war überrascht, geradezu überrumpelt und es viel mir überraschend schwer von mir selber nicht als man zu reden. Mir fiel auf, dass ich mich bisher nie als „ich“ wahrgenommen hatte. Ich sprach natürlich über mich selber, doch weil ich gelernt hatte, dass ich, aus Gründen der Bescheidenheit, das eben nicht tun soll, versteckte ich mich Ansichten und Gefühle hinter dem Wort „man“.

An der Theaterakademie Köln kann ich mich nicht tarnen

Doch an der Schauspielschule kann ich weder mich, noch meine Ansichten und Gefühle tarnen. Ich kann mich nirgends verstecken, nicht vor anderen und schon gar nicht vor mir selber. Was klingt, wie aus einem Horrorfilm, ist stattdessen die absolute Freiheit. Jedes Gefühl hat seinen Platz im Alltag, ich kann sagen was ich denke, ich lerne zu kritisieren, ohne einen anderen Menschen zu verletzen. Wo Menschen zusammenkommen gibt es natürlich auch zwischenmenschliche Probleme, doch die Dozenten an der Theaterakademie sind bereit, Hilfestellung bei der Lösungsfindung zu geben.

Ines Langel über Ihre Erfahrungen an der Theaterakademie Köln

Bild: allef vinicius / unsplash

Ich habe schnell gemerkt, dass hier nicht nur Schauspiel unterrichtet wird, sondern junge Menschen auch bei der Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden. Hier ist der ganze Mensch, mit seinen individuellen Fähigkeiten gewollt.
Es liegt an mir, wie weit ich meine erlernten Rollenvorstellungen, meine Hemmungen und meine Klischeevorbilder von mir werfen kann. Wenn ich es schaffe, bei mir anzukommen und aus mir selbst kreative Kraft zu schöpfen, werde ich ein erfolgreiches Leben führen. Dabei ist es egal, was für einen Job ich mache oder wie ich mein Privatleben gestalte, denn einfach ICH-sein ist die größte Kraft in meinem Leben. Ich bin weder Kunde noch Ware, ich bin Gestalter meines eigenen Lebens.

von Ines Langel

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