Saha Angourani © (C) Pj_people 2020
Gastbeitrag

Künstler*in sein im Iran- Ein lebensgefährlicher Beruf.

Ein Gastbeitrag von TAK-Schülerin Saha Angourani.*

Bombenentschärfer*in, Fensterputzer*in, Feuerwehr, Pilot*in, Dachdecker*in. Einige der, laut Google, gefährlichsten Berufe der Welt. Schauspieler*in, Sänger*in, Autor*in, Regisseur*in sind im Normalfall nicht unbedingt die Berufe, die man als lebensgefährlich ansehen würde. Im Iran sieht das jedoch anders aus. 

Auf Grund der Gesetze des islamischen Regimes, läuft es auch in den künstlerischen Bereichen anders ab, als wir es hier in der westlichen Welt gewohnt sind.

Schauspieler*innen, zum Beispiel, die nicht verwandt oder verheiratet sind, dürfen sich vor laufender Kamera nicht berühren. Selbst die Berührung zweier Hände, würde die Missachtung der Gesetze bedeuten. Die Ironie ist, dass wir dieses Gefühl der Distanz mittlerweile ziemlich gut kennen. Zusammen zu spielen, sich aber nicht anfassen zu dürfen. Uns hat dieses Gefühl – diese Einschränkung, die Begrenzung unserer Phantasie – zwei Jahre lang völlig fertig gemacht. Ja, wir sind einfallsreicher geworden, haben uns Alternativen einfallen lassen aber dachten uns gleichzeitig die ganze Zeit auch: „Wann hört dieser Wahnsinn endlich auf?!“. 

Ist die Bühne nicht der einzige Ort, an dem alles erlaubt ist?

Dieser Wahnsinn ist für iranische Schauspieler*innen Alltag. Genauso wie das obligatorische Kopftuch, das von allen Schauspielerinnen immer getragen werden muss. Dies ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Künstler*innen ist es generell untersagt, gesellschafts- und regimekritische Kunst zu schaffen. Filme, Lieder, Theaterstücke, Gedichte; nichts davon darf das islamische Regime in einem kritischen Licht betrachten. Auch schwer vorstellbar oder? Sind die Künste nicht gerade dafür da? Ist die Bühne nicht der einzige Ort, an dem alles erlaubt ist?

Welche Folgen erwartet die Menschen, die sich diesen Vorgaben widersetzen?

Schauen wir uns zum Einstieg das Leben von Golshifteh Farahani (The patience stone (2012), Paterosn (2016), Girls of the sun (2018), Extraction (2020) an. Golshifteh ist bis heute eine der größten, bekanntesten und talentiertesten Schauspielerinnen aus dem Iran. Ihr Vater ist Theaterregisseur und ihre ältere Schwester ebenfalls Schauspielerin. Sie lernte Piano im Alter von fünf Jahren und hatte ihre erste Hauptrolle mit 14. Seit dem stand die Schauspielerin bis 2008 im Iran vor der Kamera. 2008 spielte sie dann in dem Hollywoodstreifen „Body of lies“ mit und zeigte sich dort ohne ihr Kopftuch. Seitdem durfte sie nie wieder in den Iran zurückkehren. Eine Einreise in ihr Heimatland bedeutete ab diesem Zeitpunkt ihre Gefangennahme und vielleicht sogar ihren Tod. Ihr wurde vom islamischen Regime außerdem wegen des Films „Zusammenarbeit mit der amerikanischen Propaganda“ und „Verletzung der islamischen Regeln“ vorgeworfen.

 

 

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Sie gefährdet ihr Leben und kann jederzeit getötet werden.

Farahani hat auch während ihrer Zeit im Iran in gesellschaftskritischen Filmen mitgewirkt. Diese Filme kamen nie in die Kinos oder ins Fernsehen. Sie wurden illegal gedreht und die DVD’s auf dem Markt verkauft. Darunter in „Ali Santoori“ der die Geschichte vom Leben eines jungen Musikers erzählt, der sich im Drogensuff (den es im Iran augenscheinlich nicht gibt, nicht geben soll und der dort ebenfalls strengstens verboten ist) verliert und somit auch all die Dinge, die im am wichtigsten waren. Darunter seine Frau, die Liebe seines Lebens.

Nachdem Golshifteh 2012 auch noch nackt für das französische Magazin „Madame Figaro“ posierte, gab das islamische Regime offiziell bekannt, dass die Schauspielerin im Iran nicht mehr willkommen sei und sie ihre schauspielerischen Fähigkeiten in anderen Ländern ausleben soll.

Heute lebt Golshifteh Farahni in Frankreich und postet auf Instagram mit am aktivsten über die aktuelle Revolution im Iran. Sie gefährdet damit ihr Leben und kann jederzeit von „Spitzeln“ der islamischen Republik im Ausland getötet werden.

Teheran Tabu

Eine weitere Schauspielerin, die nie wieder in ihr Heimatland zurückkehren kann und die mit uns, nicht nur wegen ihres beruflichen Werdegangs verbunden ist, sondern auch wegen ihres aktuellen Wohnortes, ist Elmira Rafizadeh. Elmira ist in Tehran geboren und lebt seit ihrem fünften Lebensjahr in Deutschland. Sie ist damals während des Iran-Irak Kriegs mit ihrer Mutter nach Deutschland immigriert. Sie hat hier in Köln am Zentrum für Schauspiel, Bewegung und Tanz (heute: Schauspielzentrum) studiert und hat seitdem in zahlreichen deutschen Filmen mitgespielt. Darunter „TEHERAN TABU“. 

In „Teheran Tabu“ zeigt Ali Soozandeh, in Form eines Animationsfilms, die paradoxe Doppelmoral des iranischen Regimes und zeigt die dunklen Abgründe der Leben der Iraner, die unter dem diktatorischen Regime leiden.

Eine absolute Filmempfehlung wird an dieser Stelle ausgesprochen! Hier der Amazon Link dazu: https://www.amazon.de/gp/video/detail/B0B5YF25XJ/ref=atv_dp_share_cu_r

Elmira Rafizadeh hat durch die Mitwirkung in diesem Film ihr eigenes Schicksal, also ein Leben im Exil, besiegelt.

 

 

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Ein ganz großer Teil meines Herzens gehört zu diesem Land und seinen Leuten.

Ein Schicksal, das ich übrigens auch ganz lange befürchtet hatte. Seit meiner Geburt, ist meine Mutter regelmäßig mit mir und meiner Schwester in den Iran gereist. Zu jeder Phase meines Lebens gibt es Erinnerungen aus dem Iran. Ich habe immer die Sprache gesprochen, immer das Essen gegessen, die Luft gerochen, die Kleidung getragen. Ich habe dort Freundschaften geknüpft, mich verliebt und mir das Herz brechen lassen. Als ich dieses Jahr, zum ersten Mal nach vier Jahren wieder in den Iran gereist bin, war es erstaunlich zu sehen, dass all die Erinnerungen, die meine Freunde untereinander im Iran teilten, von Momenten und Personen handelten, die ich mitterlebt hatte und kannte. Ein ganz großer Teil meines Herzens also gehört zu diesem Land und seinen Leuten. Und irgendwann wusste ich: ein größerer Fernsehauftritt, ein Artikel der Viral geht oder sogar eine hohe Reichweite in den sozialen Medien. Wenn eines dieser Dinge in meinem Leben als Schauspielerin passieren sollte, wäre eine Rückreise für mich unmöglich. 

Auch Elmira engagiert sich heute mit allen Kräften für die iranische Revolution und für die Freiheit. 

Es gibt viele weitere Beispiele von bekannten Künstlern im Ausland, die das gleiche Schicksal teilen wie Golshifteh und Elmira.

Dazu gehören auch: 

  • Enissa Amani (Künstlerin und Aktivistin)
  • Nazanin Boniadi (Schauspielerin)
  • Nazanin Nour (Schauspielerin)
  • Shohreh Aghdashloo (Schauspielerin)
  • Pegah Ferydoni (Schauspielerin und Aktivistin)
  • Tara Grammy (Schauspielerin)
  • Nina Moghaddam (Fernsehmoderatorin) 
  • Natalie Amiri (Journalistin) 

U.v.m.

All diese mutigen Frauen, könnt ihr auch jetzt auf Instagram folgen, um sowohl ihre großartige künstlerischen Arbeit zu verfolgen, als auch ihren Einsatz für ein freies Iran. 

Erpressung, Hausarrest, Gefängnis.

Was passiert denn nun mit Menschen, die sich entweder im In- und/oder Ausland nicht nach den Sitten des Regimes richten, wenn sie dann nun im Iran sein sollten? 

Nun ja, wie man brandaktuell im Fall der Kletterin Elnaz Rekabi sehen kann, die nach der Weltmeisterschaft im Klettern, wo sie ohne ihr Kopftuch antrat, verschwunden ist. 

Direkt nach ihrem weltweiten Auftritt wurde ihr Handy und ihr Passport konfisziert und ihre Familie konnte sie in dem Hotel, in dem sich das Team aufhielt, nicht erreichen. Kurz darauf meldete sie sich auf ihrem Instagram Kanal und entschuldigte sich für das fehlende Hijab, welches sie aus „Aufregung vergessen hatte zu tragen“. Diese Entschuldigung postete sie, nachdem ihr Bruder vom islamischen Regime gefangen genommen wurde. Damit erpresste das Regime Rekabi, ihr Fehlverhalten zu „erklären“ und zu „entschuldigen“. Dies ist eine bekannte Strategie. Elnaz wurde bei ihrer Ankunft am Flughafen in Tehran sofort in einen Bus gepackt und mitgenommen. Auf Bildern und Videos ist zu sehen, wie die iranischen Menschen sich am Flughafen versammelten um sie als die Heldin, die sie ist, willkommen zu heißen und zu zelebrieren. Nun sitzt Elnaz im Evin Gefängnis unter „Hausarrest“. Das Evin Gefängnis ist bekannt dafür, politische Gefangene zu hausen. Darunter Schauspieler*innen, Feminist*innen, LGBTQ+‘s, Journalist*innen, Anwält*innen, Aktivist*innen und Autor*innen. 

 

140 Menschen sind in dieser Nacht gestorben.

In diesen Gemäuern, werdend die Gefangenen zu jeder gegebenen Zeit ihres Aufenthaltes gefoltert. Durch Vergewaltigung, Schläge, Reißen der Nägel, Elektroschocks, Peitschenhiebe und viele weitere unmenschliche Dinge, die wir uns wahrscheinlich nicht mal vorstellen können. Nachts brennen die Lichter in den Zellen. Dies ist eine weitere Foltermethode, um den Insassen das Schlafen zu erschweren und diese so in den Wahnsinn zu treiben. 

Das Evin Gefängnis ist übrigens auch das gleiche Gefängnis, das am 15. Oktober seitens des islamischen Regimes in Brand gesetzt wurde, nur um dann auf die Gefangenen zu schießen. Natürlich sitzen auch Gefangene der aktuellen Prozesse dort fest. Darunter auch Minderjährige. An diesem Abend fanden an unterschiedlichsten Orten Tehrans Proteste statt. Dies ist mittlerweile jeden Samstag der Fall. Diese Gelegenheit wurde genutzt, um in der Nacht das Feuer auf Evin zu starten und die Möglichkeit jeder Hilfe von außen zu sperren, wie zum Beispiel die Straßen zu blockieren. Selbst Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge wurden nicht durchgelassen. 140 Menschen sind in dieser Nacht gestorben.

Die aktuellste Einschüchterungsmethode ist das Vergewaltigen und wieder Freilassen junger Gefangene, um sie davor abzuschrecken weiter zu protestieren. Sie sagten „Wir schicken euch eure Mädchen Schwanger zurück“.

Dazu muss gesagt werden, dass eine Jungfrau, nach islamischem Recht, nicht hingerichtet werden darf. Also werden die Jungfrauen von den Wärtern vergewaltigt, damit diese dann hingerichtet werden können.

Also: gesellschaftskritische Kunst bringt Vergewaltigung, Folter und Tod. Kunstschaffen im Ausland, bringt Exil und im schlimmsten Fall: Vergewaltigung, Folter und Tod. 

Hier folgt nun eine Liste einiger Künstler*innen, die entweder in Evin sitzen, saßen oder dort gestorben sind: 

  • Dariush Mehrjui (Filmemacher)
  • Jafar Panahi (Filmregisseur)
  • Katayoun Riahi (Schauspielerin)
  • Shervin Hajipour (Sänger und Songwriter: Baraye)
  • Amir Tataloo (Sänger und Songwriter)
  • Toomaj Salehi (Rapper)
  • Mohammad Rasoulof (Filmemacher)
  • Mohammad Reza Alipayam (Poet)
  • Mehdi Rajabian (Komponist)
  • Hila Sedighi (Poetin)
  • Hamid Sefat (Musiker)
  • Mahnaz Mohammadi (Filmemacherin)
  • Aria Aramnejad (Sänger)
  • Zahra Kazemi (Fotografin) – iranisch-kanadische Fotografin, die das Evin Gefängnis fotografierte als sie festgenommen wurde. Sie starb auf Grund der Folgen der schweren Folter, die sie im Gefängnis erlitten hatte

Mahsa Amini (22 ✝), Hadis Najafi (23), Nika Shakarami (16 ), Erfan Nazari (22✝), Sarina Esmailzadeh (16✝) , Mahsa Mougouyi (18✝), Hannaneh (Kia 22✝), Ghazaleh Chelabi (33✝), Minoo Majidi (62✝), Mohammad Rakhshani (12✝), Omid Sarani (13✝), Sodeys Keshani (14✝), Ali Barahooei (14✝), Amirhossein Basati (15✝), Mohammad Eghbal (16✝), Zakaria Khial (16✝), Samer Hashemzehi (16✝), Omid Safarzehi (17✝), Mehdi Asgar (✝), Pedram Azarnoush (✝), Siavash Mahmoudi (✝), Andollah Mamoudpour (✝).

Und dies ist eine Aufzählung einiger weniger bekannter Namen der Menschen, die in den aktuellen Protesten ermordet wurden. Die genaue Opferzahl ist nicht klar. 

Googelt die Namen. Gebt sie auf Instagram ein. Schaut euch die Gesichter und Menschen dahinter an. 

Und erzählt dann ihre Geschichten. 

Seid die Stimme, die ihnen so brutal genommen wurde.

Zan. Zendegi. Azadi.

Jin. Jiyan. Azadi.

Frau. Leben. Freiheit. 

 

*Der Gastbeitrag ist Teil einer Recherche des BOX Theaters in der Südstadt Köln zum Projekt „300 Sekunden“ von Mohsen Taromi & Robert Christott, gefördert durch das Ministerium für Kunst und Kultur des Landes Nordrhein Westfalen im Rahmen des „Auf geht´s“-Stipendiums 2022