Schauspielausbildung

Schauspiel – eine Frage der Einstellung

Von Robert Christott. Ich bin Schauspieler. Derzeit ein Schauspieler, der mehr Zeit als Leiter einer Schauspielschule verbringt, als mit dem Spielen selbst. Das ist aber kein Problem, denn das, was ich am Schauspiel liebe, was für mich der Kern von Schauspiel, insbesondere von Theater, ist, finde ich genau so hier: Die Begegnung.

Eines der schönsten Ereignisse im Semester sind die Vorsprechen, die wir als eintägige Workshops durchführen. Hier darf ich Menschen begegnen und sie ein wenig kennenlernen, die den gleichen Drang verspüren, den ich damals verspürt habe: Das Leben muss doch noch intensiver sein können, als es bisher war! Und es ist erst einmal völlig egal, ob wir am Ende des Tages jemanden aufnehmen oder nicht.

Diese Begegnung durch den Ritus eines Workshops, das Teilen von Zeit, Raum Schweiß, Weinen und Lachen, ist ein Zweck und damit eine Bereicherung an sich. Und dementsprechend ist auch die Auswahl derer, die wir in eine neue Klasse aufnehmen davon geprägt, wie intensiv, offen und zugleich wertschätzend-respektvoll diese Begegnungen waren. Das Finden von etwas Gemeinsamem in wenigen Stunden auf unserer Probebühne ist eine Verhandlungsbasis für alle künstlerischen und handwerklichen Auseinandersetzungen, die da kommen mögen. Ist es verwunderlich, dass unser Auge dabei häufig auf diejenigen fällt, die nicht den gängigen Normen entsprechen? Hier sind neben den gesellschaftlichen Normen auch und insbesondere die Konventionen gemeint, die beschreiben, was einen guten Schauspieler, eine gute Schauspielerin ausmache. Wobei der Eindruck einer Konvention sich in Luft auflöst, wenn man versucht, sie zu definieren. Es hat mit Stärke zu tun, mit Ausdruck und Emotionalität. Und doch sind es oft die zunächst Schwachen, Zögerlichen und Geheimnisvollen, die unser Interesse wecken.

Die Realität des Berufs in den Fokus stellen

Dementsprechend verlassen diplomierte Schauspielerinnen und Schauspieler die Schule, die oftmals schwer in Schubladen zu stecken sind, die einen ungewöhnlichen Ausdruck mitbringen und ihr Geheimnis oftmals eher behalten, als es mit dem Gestus und Habitus junger Bullen herauszuschnauben. Als die ZAV noch entscheiden durfte, wen sie in die Kartei aufnehmen, war die Quote bei unseren AbsolventInnen oftmals nicht 100%. Und das war absolut in Ordnung so. Als ich vor gut fünf Jahren die Leitung der Theaterakademie Köln übernahm, war mir klar, dass wir ein Konzept brauchen, an das wir Lehrenden glauben können, weil es die Realität des Berufes in den Fokus stellt.

Der übergroße Teil an Jobs im Schauspiel findet nicht in Festanstellungen am Stadttheater statt, sondern im Kontext von freiberuflich ausgeübter darstellender Kunst. Für die Ausbildung für das Stadttheatersystem sind ohnehin die deutschsprachigen Schauspiel-Hochschulen zuständig, und auch diese haben mittlerweile mehr AbsolventInnen als Vakanzen zu haben sind.

Im Jahr 2015 – immerhin nach zwei Jahren gemeinsamer Recherche und Austausch – fanden sich die Ziele dann in einem Leitbild unter dem Titel „Nur Mut!“ und in einer daraus abgeleiteten Ausbildungs- und Prüfungsordnung wieder.
Aus der Präambel der Prüfungsordnung: „Das Diplom Schauspiel der THEATERAKADEMIE KOELN qualifiziert für eine Tätigkeit als Schauspieler*in für Theater, Film, Fernsehen und insbesondere im Kontext freiberuflich ausgeübter darstellender Kunst. Die Schauspielausbildung berücksichtigt die aktuellen Anforderungen an Schauspieler*innen und die sich stetig wandelnde berufliche Situation. Zusätzlich zur Qualifikation für die öffentlichen und privaten Bühnen sowie für Film, Fernsehen, Hörfunk etc. werden die Schüler*innen angeleitet, innovative Ideen und Impulse zu verwirklichen, um sich neue Aufgabengebiete und Berufsfelder im Kontext vor allem des freiberuflichen künstlerischen Arbeitens in wechselnden Kontexten der darstellenden Künste erschließen zu können.“

Weg vom Ausbildungs-Mainstream

Das „sich erschließen können“ bedeutet: Freiheit. Die Freiheit, die wir anstreben, ist die Befreiung von dem Anteil biografisch erworbener Blockaden, der professionelle künstlerische Prozesse behindert. Ziel des pädagogischen Verhältnisses zwischen Lehrenden und Lernenden muss deshalb die Selbstermächtigung der StudentInnen sein. Was die Lernenden jeweils brauchen, um Selbstermächtigung in einem Bereich zu erlangen, ist allerdings nicht klar. Schule reproduziert Wissen, sie produziert keines. Weitergegeben wird das, was wir glauben gesichert zu wissen, das Erprobte, Erforschte, Feststehende. Wollen wir unsere StudentInnen aber die Selbstermächtigung lehren, muss das Unbekannte unterrichtet werden.

So eine Suche nach dem Unbekannten oder zumindest nicht vorher bekannten zeigt sich beispielweise in den Fächern Erzählen oder Stückentwicklung. Die Lernenden werden mit Methoden ausgestattet, um Geschichten zu erzählen. Zum einen aus einer Autorenposition heraus, zum anderen als ErzählerInnen selbst, die keine Rolle im herkömmlichen Sinne spielen, sondern als kompetente BeobachterInnen der eigenen Biografie live vor Publikum erzählend – performend – sich selbst auf die Schliche zu kommen versuchen. Dieser Versuch der Deutung der eigenen Biografie ähnelt dem Einsatz der „ExpertInnen des Alltags“ zum Beispiel beim Regieduo Hofmann&Lindholm: Wenn es um Banker geht, dann stehen auch Banker auf der Bühne. Für angehende SchauspielerInnen ist der Versuch, sich als ExpertInnen ihrer selbst ohne Rolle vor die Zuschauer zu begeben, mitunter ein Schock. Doch was dann entsteht, kann die ganze Strahlkraft einer unverbauten Künstlerpersönlichkeit aufleuchten lassen. Was dabei herauskommt, nenne man SchauspielerIn, PerformerIn, DarstellerIn oder Weiteres. Das Label ist definitiv vage – und vor allem nicht besonders wichtig.

Das Gefühl, sich damit deutlich von einem Ausbildungs-Mainstream zu entfernen, brachte nicht nur Lob mit sich. Die Entscheidung, nicht mehr wie eine „Hochschule im Kleinen“ zu agieren und die AbsolventInnen ebenfalls auf diesen mehr als gesättigten Markt zu entlassen, produzierte durchaus Kontroversen im Team und spöttisch hochgezogene Augenbrauen bei anderen Akteuren auf dem privaten Ausbildungs-Sektor. Zu präsent war damals das Bild der Powerplayer, die durch intensives darstellendes Spiel das Acteur- und Actricen-Ideal hochhielten.

2018 ist nun Benny Claessens im Rahmen des Theatertreffens in Berlin mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis ausgezeichnet worden. Claessens ist ein belgischer Darsteller und Theatermacher, der den Preis für seine Arbeit in Falk Richters Inszenierung von Elfride Jelineks „Am Königsweg“ bekam. Wenn ich lese, was die künstlerische Leistung von Claessens ausmache (ich habe „Am Königsweg“ leider nicht selbst gesehen), klingt es so, als habe jemand das erreicht, was unser Ideal ist. Dazu Laudator Fabian Hinrichs:

„Eine ästhetische Erfahrung, die den Betrachter, die Betrachterin so trifft, hat eine Wahrheit, die ich anders nicht erfahren kann. Und damit wir an der Wahrheit der Welt nicht zugrunde gehen, dafür brauchen wir die Kunst. (…) Wir brauchen dafür künstlerische Schauspieler wie Benny Claessens, (…) seine Ästhetik, seine ganz eigene Schönheit, denn er ist schön, sein Da-Sein, seine spürbaren Bauprinzipien seines Bewusstseins, die dann auf dann auf die Bauprinzipien von Anderen (Bühnenbildner, Autor, Kostümbildner) treffen, damit etwas Drittes entsteht. Denn was Anderes ist Existenz als Da-Sein im Raum? Und wo anders lässt sich Da-Sein so verdichtet erfahren, erleben, erspüren, als Wahrheit, die wie der Blitz grell alles erleuchtet, um einen herum, in einem und eben dadurch und nur dadurch genauso schnell die absolute Dunkelheit erfahrbar macht? In der Musik natürlich, in der Literatur, im Theater.“

Im Rahmen der Verleihung wurden neben Laudator Fabian Hinrichs auch von Benny Claessens selbst und vom Regisseur Milo Rau Reden zum Schauspielberuf gehalten, die mich sehr gefreut haben. Hier ist nachzulesen, dass ein neuer Blick auf das, was SchauspielerInnen tun und können, im Olymp der deutschen Theaterhochkultur angekommen ist: Dem Haus der Berliner Festspiele.

Milo Rau schreibt über den „Schauspieler des 21. Jahrhunderts“:
„Die eine Schule verlangt vom Darsteller Autorenschaft: dass er sich nicht auf toten Figuren ausruhe, dass er als Überlebender eines ganz bestimmten (seines eigenen oder eines von ihm erfundenen) Lebens spreche, Spezialist seines Berufs, seines Milieus, seines Schicksals. Die andere Schule dagegen feiert die mimetische Kraft des Menschen, die Tatsache, dass irgendein zufälliger Mann oder eine zufällige Frau, wenn sie in Darmstadt oder St. Gallen oder Berlin auf die Bühne tritt, eine der „Drei Schwestern“ spielen kann. (…) Zwei Schulen also: Wahrhaftigkeit gegen Verwandlung, Performance gegen Darstellung, das Selbst gegen das Fremde. Was für eine absurde Unterscheidung ist das aber? Bin ich mehr Zugfahrer oder bin ich mehr ein Individuum, wenn ich gerade mit 200 Stundenkilometern von Hannover nach Wolfsburg rase? Spreche ich oder spricht die Sprache? Was ist das Selbst, was ist das Äusserliche? (…) Vielleicht ist das ja die Antwort: Dass der Schauspieler des 21. Jahrhunderts gleichzeitig sich selbst und jemand anderes ist, Experte und Darsteller.“

Ich selbst habe diese Schnittstelle durch die Arbeit mit dem Kölner Regieduo Hofmann&Lindholm intensiv erleben dürfen. Ein Jahr nach dem Ende meiner Ausbildung an der Theaterakademie Köln, die damals ihren Schwerpunkt auf dem klassischen Darstellenden Spiel hatte, war ich Teil der Produktion „Faites vos Jeux“ am FFT in Düsseldorf. In den intensiven Proben musste ich nicht so tun „als ob“, sondern durfte Handlungen auf einer Bühne vollziehen, dabei Texte sprechen, und den magischen Sog dieser Arbeit auf ganz andere Weise als bisher erleben: im Gefühl der gemeinsamen Anwesenheit von Performer und Publikum, im Ausloten von Textnuancen ohne Emotionen, dafür mit wahnsinnig viel Haltung. Die Texte wurden zu tatsächlichen Zaubersprüchen, deren Macht ich extrem zu spüren bekam, weil sie nicht im Sturm einer darstellerischen Auslebung und Einfühlung verpuffte, sondern als potentieller Sprengstoff zwischen Bühne und Zuschauerraum zu schweben begannen.

Der Kampf um das „richtige Theater“

Was diese Arbeit zudem für mich auszeichnete, ist die große Bedeutung der Persönlichkeit der DarstellerInnen. Denn wir waren es, die die Verhandlung führten, und nicht theatrale Rollen, an die wir unsere Präsenz verliehen. So zu arbeiten ist nicht jedermanns und jederfrauens Sache. Das ist total okay. Der Kampf, der allerdings teilweise gegen diese theatrale Arbeit geführt wurde und wird, ist erstaunlich.Der Kampf, der allerdings teilweise gegen diese theatrale Arbeit geführt wurde und wird, ist erstaunlich. Meine letzte Arbeit mit Hanna Hofmann und Dr. Sven Lindholm ist nicht lange her. Am 16. März hatten wir Premiere mit der Produktion URAUFFÜHRUNG am Staatstheater Stuttgart. Ich wurde erst drei Wochen vor her zusammen mit den tollen KollegInnen Lara Pietjou und Roland Görschen nach Stuttgart gerufen. Die Regie hatte sich von den sechs Staatstheater-DarstellerInnen trennen müssen.

Die künstlerischen Differenzen waren zu groß. Einfach gesagt: Diese tollen SchauspielerInnen waren nicht in der Lage (was nicht schlimm ist) und leider auch nicht willens (was schlimm ist) das Wagnis einer performativen, biografischen, erzählenden Spielweise auf sich zu nehmen. Zu groß die Notwendigkeit einer Rolle, zu krass das eingehämmerte Empfinden von Nacktheit und Ausgeliefert sein ohne einen dramatischen Schutzschild. In Stuttgart hieß es dann raunend auf dem Flur: „Da kommen die Performer aus Köln!“, als wären wir eine andere Spezies. Eine Situation, die beispielhafter nicht sein könnte für den Clash of cultures zwischen einem hermetisch abgeriegelten System und der Freiheit, einfach etwas Unbekanntes zu tun. Auf der Bühne eines Staatstheaters. Gut bezahlt. Und herzlich aufgenommen vom Publikum. Es geht um einen Streit zwischen dem, was man platt in „das System“ und „die freie Szene“ dividieren könnte. Ein Streit um das „richtige Theater“ und der Kampf um die Deutungshoheit von darstellender Kunst vor allem durch die Konzentration auf das gute alte „klassische“ Schauspiel. Absurd. Umso erfreulicher, dass eine Performer-Persönlichkeit wie Benny Claessens nun ausgezeichnet wurde. Der Preisträger selbst schreibt in seiner Dankesrede:

We talked about two older actors (…) One of these actors is considered a pearl of Flemish theatre, or as I’d like to call her – a hasbeen pearl, someone from this old archaic world of the THEATRE. (…) In my opinion, performing or making an art piece is giving something you don’t have to people who don’t want it. It is an unwanted gift. (…) The hasbeen thinks she’s more intelligent than the person she will be facing night after night during the tour of the piece she will conceive with Milo Rau. The hasbeen believes she understood something and now she knows better – the biggest mistake of the enlightenment. A bunch of white people knowing something and using this knowledge as fuel in their righteous and often cynical quest to educate the world (“the world” being working class, women, and basically everything that’s not white, male and heterosexual) can’t give us anything. This quest makes it easy for them to objectify anything which is not them, justifying aggression and feeding the fantasy of superiority, not to say supremacy. The hasbeen does not make art. The hasbeen teaches us the old in a world that clearly needs a new vocabulary and new hopes.

Die von Claessens angesprochene Diskriminierung individueller künstlerischer Ausdrucksformen durch ein immer noch sehr männlich-weiß dominiertes System finden wir in den meetoo-Debatten und in der aktuellen Diskussion um die Position der SchauspielerInnen am Stadttheater wieder. Hier gibt es ebenso den Stück- und Formkanon, der immer wieder im Kreis gespielt wird. Dafür braucht es Akteure, die sich dem hingeben und vor allem eines tu: erfüllen. Das Motto der klassichen Schauspielerattitüde überspitzt zu formulieren könnte so klingen: „You say: jump! I say: how high?“

Laudator Fabian Hinrichs formuliert es so:
“Die deutschen Bühnendarsteller und Regisseure im Jahre 2018 aber bleiben beim Notwendigsten, und darum ist bei ihnen wenig Freies, Echterfreuliches. So wenig Freies. So wenig Echterfreuliches. Auf meiner Suche nach dem souveränen Schauspieler mit einer Leitung nach oben begegnete mir preußischer Gehorsam, wohl als erschütterndes, durch die Generationen hindurch gewandertes Erbe des preußischen Militarismus, wackeres Soldatentum, man sah Menschen bei anstrengender Arbeit zu. Denn obwohl sich die Regisseure für die Übermittlung ihrer jeweiligen gut gemeinten Moralnachrichten eine teure abendliche Eskortbegleitung in Gestalt von massivem Einsatz von Ton und Gewerken, von Technik, von Kopfhörern, Verstärkern, riesigen Rädern, Visuals, Pauken, Zaubertricks und vokalem Extremsport engagierten, verschwimmt in der Rückschau das Meiste doch zu einer seltsam gleichförmigen Masse, den gleich aussehenden Autos auf unseren Straßen ähnlich. Und wo war der Schauspieler hin? Wo ist er hin? Gibt es ihn noch?

Freiheit bedeutet auch Risiko

Natürlich gibt es ihn und sie noch. Und natürlich sind die Reden von den Schauspielern als AutorInnen und dem Widerstand gegen festgefahrene Strukturen absolut nichts Neues. Man lese Peter Handkes 50 Jahre alten Text der „Publikumsbeschimpfung“. Aber die festgefahrenen Strukturen, die von oben herab, hierarchisch und mit der Erfüllung von inhaltlichen und formalen Vorgaben beschäftigt sind, werden auch 2018 kaum die Motoren der Erneuerung sowohl von Inhalten als auch von Strukturen sein. Letzteres ist für mich wirklich dramatisch notwendig: Wir können nicht Freiheit predigen, und uns durch die Systeme, in denen wir arbeiten, selbst unfrei machen oder junge Menschen mit Freiheit ködern, dann aber in die Mühlen des Systems pressen. Freiheit bedeutet auch Risiko, und dieses Risiko muss von der Gesellschaft belohnt werden – nicht nur das Risiko der SchauspielerInnen by the way, sondern auch das der Hebammen, ErzieherInnen usw…

Stellen wir die SchauspielerInnen wieder ins Zentrum des Geschehens, nicht als Fassade der Genialität des Systems sondern als TrägerInnen von ganz besonderer Bedeutung aus sich selbst heraus. Lösen wir uns von der Vorstellung, dass etwas nur gut ist, wenn es den Ansprüchen aus der Zeit vor unserer Zeit genügt.

Weg mit dem Ensemble. Her mit Orten, an denen Gruppen für eine verabredete Zeit gemeinsam forschen und vor allem die Prozesse, die Proben und Expeditionen sichtbar und zugänglich sind. Her mit Förderstrukturen, die Risiko belohnen und den individuellen Wert höher schätzen als Benchmarking. Und weg mit Strukturen, die das Ausnutzen der Abhängigkeit befördern.

Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Aber es ist spät. Inklusion ist immer noch kaum präsent im Schauspiel, die meisten Intendanzen und Regieaufträge gehen an Männer, künstlerische Eignung hat immer noch sehr viel mit Äußerlichkeiten zu tun. Und es wird nach wie vor Schindluder betrieben mit dem Wunsch vor allem junger Menschen, sich als SchauspielerIn auszutoben. Schauspielschulen leisten oft noch einen teuflischen Beitrag dazu, indem sie das hierarchische Gefüge von Beginn an installieren: die DarstellerInnen als unterste Stufe des kreativen Prozesses, brechen und willfährig wieder aufbauen.

Wir an der Theaterakademie versuchen, was in unserer Macht steht, um dem entgegenzuwirken. Die Hälfte des Kollegiums sind Männer, alle Lehrenden kommen aus der Praxis und bringen ihre Kontexte in die Unterrichte ein. Bis auf einen Fachbereich werden alle Fachgruppen von Frauen geleitet. Ermächtigung findet dort statt, wo wir zusätzlich zu den schauspielerischen Kernfächern von Grundlagentraining, Sprecherziehung, Gesang und Bewegung auch Regie, Dramaturgie, szenisches Schreiben, Choreografie, Stückentwicklung unterrichten, und im BWL-Unterricht konkretes Handwerkszeug für freiberufliches Arbeiten mit auf den Weg geben, die Künstlersozialkasse erklären, Hilfestellung geben bei der Frage der Altersabsicherung und Workshops der Schauspielergewerkschaften anbieten.

Abschlussarbeiten widmen sich gesellschaftlichen Themen (zuletzt der menschlich-soziale Optimierungswahn in HOMO EMPATHICUS von Rebekka Kricheldorf oder Künstliche Intelligenz in der Stückentwicklung HALENA PRIMUS). Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist Aufklärung über den Beruf, seine Machtstrukturen, und über die Nischen, in denen man sehr wohl erfolgreich und nachhaltig arbeiten kann, wenn man Schauspiel als Teamsport versteht. Offenheit, Transparenz, Augenhöhe, ein durch seine Strukturen und Inhalte gesellschaftlicher und per se politischer Auftrag und ein hoher künstlerischer Anspruch sind unsere Ideale.

Oder, ein letztes mal, mit den Worten von Fabian Hinrich:

Theater kann ein kultischer Raum sein, ein Raum, in dem für einen Moment die existenzielle Einsamkeit jedes Einzelnen in diesem darwinistischen Gesamtalbtraum kollektiv spürbar wird, in dem Brücken geschlagen werden (…) lauter kleine zerbrechliche Brücken zwischen all diesen Individuierten, in ihrer eigenen existenziellen Notsituation Versammelten, und für diesen kurzen Moment kann die Ahnung von Gemeinschaft, von einem gemeinsamen Träumen von Individuen entstehen, die alle in unterschiedlicher Art und Weise Schmerz empfinden, die alle in unterschiedlicher Art und Weise in Reibung zum gesellschaftlichen Kollektiv stehen. Der Schauspieler aber könnte in diesem Sinne dann ein Lebensmedium sein.

von Robert Christott
Schulleiter der Theaterakademie Köln

Quellen:

blog.berlinerfestspiele.de/i-am-here-now-to-say-no-to-that/

blog.berlinerfestspiele.de/der-schauspieler-des-21-jahrhunderts/

blog.berlinerfestspiele.de/und-dann-kam-benny/