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„Pulp!“ Über die Entstehung einer Lesung

„pulp“ – zu deutsch „Schmutz“. Wie aus einer kruden Idee eine Lesung wurde, erzählt uns der Schauspielschüler und Sohn eines Clowns Nils Wittlich. ACHTUNG EXPLIZIT!

pures Glück

Am Anfang war es nur so eine Idee. Nichts Ernstes, denn Hirngespinste hat ja jeder mal. Ich ließ meine Gedanken schweifen und stellte irgendwann fest: „Scheiße, das kann wirklich funktionieren!“

Auslöser war wohl eine Hausaufgabe an der Theaterakademie Köln,  für die wir ein Buch oder einen Text mitbringen sollten, der uns etwas bedeutet. Daraus sollten wir dann vorlesen. Ich brauchte nicht lange zu überlegen und las das erste Kapitel aus „Gespräch mit Igel“ von Robert Paul Smith vor. Das Buch ist voll gepackt mit schwarzem Humor und absurden Situationen. Unter anderem geht es um einen Englischlehrer, der seine koreanische Schülerin darum bittet, dass sie ihren Finger in seinen Hintern steckt. Schwierig war es für mich zu erklären, welchen persönlichen Bezug ich zu diesem Text hatte…

Wie sagt man: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Nils Wittlich (ganz rechts) bei der Premiere der Lesung Pulp! Ende März

Nils Wittlich (ganz rechts) bei der Premiere der Lesung Pulp! Ende März

„Was ist los?“, fragte sie wieder. „Mache ich was falsch?“
„Aber nein, gar nicht“, beeilte ich mich, ihr zu versichern.
„Du bist fantastisch! Du bist großartig! Du bist atemberaubend! Nur…“, ich suchte nach einer geeigneten Formulierung, „könntest du dich vielleicht überwinden, mir den Finger in den Hintern zu stecken?“
Sie starrte mich an, wie es nur eine nakte koreanische Jungfrau tun konnte, die eben gebeten worden war, ihrem Lehrer den Finger in den Hintern zu stecken.
Wie bitte?
„Ich weiß, es ist ein etwas merkwürdiges Ansinnen, aber ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre.“

 

Aus: „Gespräche mit Igel“ von Robert Paul Smith, Bastei Lübbe 2019, Hier geht´s zu einer Rezension.

subversiv, spannend, lustig und vor allem: nicht jugendfrei

Die Reaktionen waren eindeutig: meinen Mitschülern gefiel es offenbar. Also kam die Idee auf, eine nicht jugendfreie Lesung zu veranstalten. Erfahrungen hatte ich bereits durch meine Sprecher-Ausbildung sammeln können, bei der ich bereits vor Kindern und Senioren gelesen hatte. Die Altersklasse dazwischen fehlten mir aber bisher. Das musste geändert werden.

Es dauerte nicht lange, bis ich aus meinem Semester drei Mitschüler*innen fand, die mein Projekt unterstützen wollten. Sie wurden Gründungsmitglieder der Reihe und ich sage „Vielen Dank!“ an Luise Ferneding, Pauline Cebulla und Philipp Birkmann.

Unser Konzept war simpel: ein unterhaltsamer Abend mit Texten, die wir mit verteilten Rollen vortragen. Es ging um Texte, die möglichst subversiv, spannend, lustig und vor allem nicht jugendfrei sind. Spielerisches Miteinander und Interaktion mit dem Publikum rundeten die ganze Sache ab.

Die Go-Go-Girls der Apokalypse

Schlicht, ergreifend, selbstgemacht. Eine Hommage an gediegenen Trash

Schlicht, ergreifend, selbstgemacht. Eine Hommage an gediegenen Trash

Das Textmaterial kam aus meinem Bücherschrank, denn privat besitze ich Unmengen an Titeln wie „Die Go-Go-Girls der Apokalypse“ oder Nachschlagewerke wie „Wo lassen Nudisten eigentlich ihr Wechselgeld?“. Diese Schätze mussten unbedingt einem breiten Publikum vorgestellt werden.

Ein Name für das Programm war schnell gefunden und Pulp! war geboren. In Anlehnung an den Tarantino-Klassiker, der mit mit der selben Thematik spielt, sollten Trivial- und Schundliteratur unser Schwerpunkt sein.

Es war pures Glück, dass wir innerhalb kürzester Zeit einen geeigneten Veranstaltungsort für unsere Lesung fanden. Wir können uns kein besseres Zu Hause vorstellen als die Räumlichkeiten des Kulturvereins „Das Ohr“ unmittelbar am Clodwigplatz in direkter Nähe zur Theaterakademie Köln. Die Macher dort hatten (Achtung Wortspiel!) nicht nur ein offenes Ohr für uns, sondern boten uns direkt die Möglichkeit an, Pulp! zu einer regelmäßig statt findenden Reihe zu machen.

Noch bevor die erste Lesung an den Start ging, konnte ich mich vor potentiellen Sprechern kaum halten. Die Nachrichten über die Gründung von Pulp! ging rum wie ein Lauffeuer und so standen am Ende acht Leute auf der Bühne. Das ist für eine Lesung ziemlich ungewöhnlich, aber mehr konnte ich einfach nicht unterbringen. Der erste Abend war eine runde Sache, denn der Andrang war riesig und die Resonanz durchweg positiv, was uns enorm beflügelt hat und uns bestärkt für die kommenden Lesungen. Das erste Mal war gleich ein Erfolg und die Motivation, weiter zu machen.

ein unvergesslicher Abend

Ich hatte den Anspruch die auftretenden Figuren der einzelnen Texte möglichst treffend mit den passenden Stimmen zu versehen, damit beim Zuhörer direkt ein Art Kopfkino entsteht. Ähnlich wie bei einem Hörspiel nur ohne Geräusche. Ob das klappen würde, wusste ich vorher natürlich nicht. Es war ein Experiment. Gemerkt haben wir das wirklich erst bei der Aufführung durch die Lacher bei den Pointen oder durch die erschreckende Stille, bei der man die Luft hätte durch schneiden können, wenn die ernsten Parts wie Szenen eines Thrillers vorgetragen wurden. Uns war ein buntes Potpourri enorm wichtig. Es war für uns alle ein unvergesslicher Abend.

immer auf der Suche nach neuen Stimmen

Lese-Reihe Pulp! subversiv, spannend, lustig und vor allem nicht jugendfrei

Lese-Reihe Pulp! subversiv, spannend, lustig und vor allem nicht jugendfrei

Spätestens als in der Pause sich eine Zuschauerin spontan bei mir meldete, dass sie gerne auch mal was mit uns lesen würde und wir sie kurzerhand in die zweite Hälfte des Programms mit integriert haben, wusste ich, den Leuten gefällt es wirklich!

Mittlerweile haben wir uns zu einem Kollektiv von sechzehn Leuten ausgebreitet, Tendenz steigend. Denn wir sind immer auf der Suche nach neuen Stimmen. Sie sollten Lust haben, sich vor Publikum auszuprobieren und Spaß auf der Bühne zu verbreiten, dabei ist es egal ob mit fremden Material oder eigenen Texten.

Bis jetzt bin ich ziemlich überrascht, was alles aus einer simplen Idee werden kann – wenn man sich nur traut. Vielleicht ist gerade deswegen das Motto der Theaterakademie Köln: Nur Mut!


Schauspieler und Gründer der Pop Lesung PULP! Nils Wittlich

„Nils etwa erzählt, wie er den großen Clown Oleg Popov beim russischen Staatszirkus traf. „Er hat mich in seiner Garderobe beim Schminken zusehen gelassen“, erinnert er sich. „So viel anders als bei meinem Vater war das aber auch nicht“, lächelt der 22-Jährige. Dafür habe Popov viel zu erzählen gehabt. Was, weiß Nils Wittlich leider nicht, denn: „Er sprach nur russisch.“ WAZ 15.08.2012

Der Sohn eines Clowns Nils Wittlich ist ausgebildeter Sprecher und studiert Schauspiel im dritten Semester an der Theaterakademie Köln. Nils baut derzeit mit „Pulp!“ eine Lese-Reihe zu Popliteratur im freien Kulturzentrum DAS OHR in der Nähe vom Kölner Chlodwigplatz auf.

Die nächste Pulp! – Die Pop Lesung findet statt am 4. Mai 2019 ab 19 Uhr.

Pulp! Findet ihr auch auf Instagram.

Titelbild: Unsplash

Szenenfotos: Pauline Cebulla

Portrait: privat

 

 

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