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Signe Zurmühlen: „Wenn Seenotrettung ein Verbrechen ist, dann bin ich schuldig“

Dieses Interview mit der TAK-Absolventin sowie Schauspielerin und Synchronsprecherin Signe Zurmühlen ist uns als Theaterakademie Köln extrem wichtig. Weil es in diesem Interview um Menschen geht. Um Flüchtlinge, die vor Hunger, Leid und Kriegen flüchten. Dieses Interview sollte jeder lesen. Auch du.

TAKBlog: Hallo Signe. Du fliegst demnächst nach Malta. Was genau machst du da?

Signe Zurmühlen: Ja, das war der Plan. Ich wollte am Mittwoch nach Malta fliegen, um auf der See-Fuchs, einem Schiff von Sea-Eye zwecks Seenotrettung im Mittelmeer in See zu stechen. Im Mittelmeer sterben seit einigen Jahren sehr viele Menschen, die versuchen auf diesem Weg vor Folter, Vergewaltigung, Sklaverei und Tod zu fliehen. Die Boote, mit denen sie aufbrechen, sind keineswegs dazu geeignet das Mittelmeer zu überqueren und kentern in der Regel lange bevor das Festland erreicht werden könnte. Die Männer, Frauen und Kinder sitzen zu Hunderten zusammengepfercht auf Booten, es gibt meistens keine oder ungeeignete Rettungswesten und viele können nicht schwimmen.

Schauspielerin Signe Zurmühlen rettet im Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Tod

Foto: Captain Friedhold Ulonska

Nicht selten kommt es vor, dass Menschen aus den überfüllten Booten fallen oder in der Masse zerquetscht werden. Viele sind verletzt, seekrank und stark dehydriert. Werden diese Boote nicht gefunden, sterben die Menschen. Wir NGOs versuchen die Boote, die in Seenot geraten sind, mit Hilfe des MRCC Rom zu finden, verteilen Rettungswesten und Wasser, versorgen medizinische Notfälle und warten bis ein Schiff die Menschen aufnehmen und zum nächsten sicheren Hafen bringen kann. All das auf Anweisung und mit Absprache des MRCC Rom. Das MRCC Rom entscheidet auch darüber, zu welchem sicheren Hafen die Menschen gebracht werden. Einige NGO-Schiffe können selbst Menschen transportieren, wir von Sea-Eye machen das in der Regel nicht, weil unsere Schiffe viel zu klein sind, um viele Menschen über größere Distanz zu transportieren.

In der Vergangenheit mussten wir das zwar schon, aber das ist für alle Beteiligten sehr gefährlich. Tatsächlich musste ich heute meinen Flug nach Malta stornieren. Die See-Fuchs darf den Hafen im Moment nicht verlassen. Italien hat seine Häfen für die NGOs geschlossen und, wie viele sicherlich in den Nachrichten gesehen haben, auch in Malta dürfen die Schiffe im Moment weder ab- noch anlegen. Da ich in Malta in dieser Situation nicht viel helfen kann, werde ich nicht fliegen, sondern erstmal Kräfte sammeln und dann schauen, was wir von hier aus machen können.

TAKBlog: Seit wann rettest du Flüchtlinge? Gab es einen bestimmten Grund?

Signe Zurmühlen: Im Juli letzten Jahres bin ich zum ersten Mal mit der Sea-Eye rausgefahren. Vorher habe ich versucht, durch Spenden und „Aufmerksamkeit schaffen“ zu unterstützen. Auf die Thematik hat mich Christoph Sieber gestoßen. Nach den „Mann, Sieber!“ – Aufzeichnungen haben wir uns darüber unterhalten und das hat mich nicht mehr los gelassen.

TAKBlog: Wie kann man sich deine Arbeit konkret vorstellen?

Wir fahren ca. 30 Stunden Richtung Afrika und halten in den internationalen Gewässern Ausschau nach Booten. Es müssen mindestens 2 Mann (oder Frau) auf der Brücke sein, einer davon muss das Schiff fahren können. Deswegen gibt es Wachschichten. Bei uns hieß das, dass tagsüber alle drei Stunden und nachts alle 4 Stunden mit drei Teams abgewechselt wurde. Mit viel Schlaf kann man also nicht rechnen. Kommt es zu einem Einsatz, übernehmen Captain und erster Offizier die Brücke, drei Crewmitglieder machen das RIB (das Rettungsboot) fertig und fahren zu dem Boot/den Booten in Seenot, die anderen Crewmitglieder bleiben an Bord, packen Rettungswesten und Wasser und versorgen die medizinischen Notfälle, die an Bord gebracht werden. In diesen Einsätzen war ich meistens als Funker oder Communicator auf dem RIB.

Synchronsprecherin Signe Zurmühlen rettet Flüchtlinge vor dem Ertrinken

Foto: Captain Friedhold Ulonska

TAKBlog: Hast du Angst vor den rechtlichen Konsequenzen in Deutschland?

Signe Zurmühlen: Nein. Wir haben nichts Unrechtes getan. Im Gegenteil: Wir haben da eingegriffen, wo Europa versagt hat. Aber: Wenn Seenotrettung ein Verbrechen ist, dann bin ich schuldig. Wir konnten bei unserer Mission im Juli über 1000 Menschen das Leben retten. Nichts könnte mich dazu bringen zu denken, dass das falsch war.

TAKBlog: Was sagen deine Kollegen, Freunde und Familienangehörige zu deiner Flüchtlingshilfe?

Signe Zurmühlen: Die meisten meiner Freunde und Kollegen und auch meine Eltern unterstützen mich sehr, bei dem, was ich tue. Natürlich machen sich einige auch Sorgen, denn ganz ungefährlich ist das nicht. Aber ich bin sehr dankbar für dieses Vertrauen und die Unterstützung. Allerdings muss ich sagen, dass sich die Stimmung im Vergleich zum letzten Jahr doch stark verändert hat. Viele Menschen lassen sich von Unwahrheiten und falschen Fakten, die verbreitet werden, täuschen. Was man zum Teil im Internet liest, ist erschütternd. Auch privat habe ich einige sehr beleidigende und hasserfüllte Nachrichten erhalten. Ich finde, es ist eine Sache selbst nichts zu tun und das, was gerade passiert zu ignorieren oder zu akzeptieren. Aber Andere vom Helfen abzuhalten, zu beschimpfen und zu kriminalisieren? Das ist mir unbegreiflich.

TAKBlog: Wie verarbeitest du später das Erlebte?

Signe Zurmühlen: Es ist nicht einfach. Was wir da draußen gesehen und erlebt haben, wird sicherlich keinen von uns je wieder richtig los lassen. Am Anfang kam mir dieses Leben plötzlich völlig surreal vor – es fühlte sich nicht richtig an. All diese Menschen mit ihren „Alltagssorgen“, wieder ganz normal zur Arbeit zu gehen, auszugehen, zu feiern. Aber dieses Leben ist auch echt, die Sorgen der Menschen sind echt und berechtigt, Spaß zu haben ist wichtig.

Eine Sache, die mir klar geworden ist, wie glücklich wir sein können dieses Leben führen zu dürfen, wie gut es uns doch eigentlich geht und dass es das Falscheste wäre, dieses Leben nicht in vollen Zügen zu genießen – und dankbar zu sein. Und wenn das manchmal nicht geht und die Bilder von all dem Schlimmen wieder hochkommen, oder die Nachrichten berichten, dass wieder Hunderte ertrunken sind, dann versuche ich an die Menschen zu denken, die wir retten konnten, die jetzt leben und eine Zukunft haben, weil wir da waren.

Wir danken Signe Zurmühlen für das Gespräch. Das Interview führte Johannes Brümmer

Teaserbild: Captain Friedhold Ulonska

 

Über Signe Zurmühlen

Signe Zurmühlen

Foto: Ina Jabss

Signe Zurmühlen wurde 1987 in Kaiserslautern geboren. Nach ihrem Abitur 2006 absolvierte Sie ihre Schauspielausbildung an der Theaterakademie Köln und erhielt 2011 ihr Schauspieldiplom. Seitdem arbeitet sie in Köln als Schauspielerin und Sprecherin. 2011 wurde Sie für den Kölner Nachwuchstheaterpreis PUCK nominiert, es folgten weitere Theaterpreisnominierungen für Theater und Jugendtheaterstücke. Seit Beendigung ihrer Schauspielausbildung hat Signe in etwa 40 Stücken mitgewirkt (unter anderem im Theater am Sachsenring und am Horizont Theater in Köln, im lutzhagen, bei den Duisburger Akzenten und bei den Rainbacher Evangelienspielen in Österreich). Neben der Schauspielerei hat sie ein Kindertheaterstück geschrieben, das im Januar 2014 in Köln uraufgeführt wurde, stand als Kabarettistin auf der Bühne und arbeitet als Synchronsprecherin. Seit 2012 ist Signe Station Voice des Fernsehsenders ONE und seit 2014 Station Voice des WDR Fernsehens.
Aktives Mitglied bei Sea-Eye ist sie seit 2017.

Wer selbst helfen möchte, kann gerne unter http://www.sea-eye.org spenden, Petitionen unterschreiben, auf die Straße gehen und laut werden! Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung! Mail: signe-zurmuehlen@gmx.de