Ragna Kirck leitet die Fachbereiche Schauspiel und Regie an der Theaterakademie Köln. Derzeit bereitet sie Ihre Diplominszenierung mit der Abschlussklasse der TAK vor. Was Tangas mit Theater und politischem Engagement zu tun haben, erfährst du im Kurzinterview im TAKBlog.
TAKBlog: Hallo Ragna, an der TAK verantwortest du grade drei Inszenierungen: du erarbeitest mit dem 4. Semester die Inszenierung der Zwischenprüfung, coachst die Regieklasse für deren eigene Premiere und ganz akut pumpst du Unmengen an Fraustunden in die Regie der Diplominszenierung. Worum geht es in der Produktion für dich persönlich?
Ragna Kirck: Das erfordert eine Antwort auf zwei Ebenen. Ich inszeniere die Diplominszenierung eines Semesters, mit dem ich während der Ausbildung sehr viel und sehr eng gearbeitet habe. Dabei werden aus Schüler*innen in seltenen Fällen schon ganz früh Kolleg*innen und noch seltener Freund*innen. In diesem Fall ist das so, und darum bin ich ganz besonders berührt, mit diesen drei großartigen Schauspielerinnen ihren Abschluss gestalten zu dürfen.
Inhaltlich stehe ich seit jeher für politisches Theater. Mit unserem Stück bearbeiten wir gleich mehrere wichtige Themen unserer Zeit. Beispielsweise wie wir hier in der sogenannten ersten Welt auf dem Rücken der sogenannten dritten Welt leben. Wie strukturelle Ausbeutung stattfindet und ein Gesicht bekommt. Wie Frauen nach wie vor in unserer Welt systematisch diskriminiert werden (und so stark sind, verdammt, so stark!!!). Um nur ein paar Eckdaten in den Raum zu werfen.
TAKBlog: Mach uns Appetit! Was erwartet uns bei eurer Inszenierung?
Ragna Kirck: Ein Feuerwerk!!! Zunächst einmal bekommt ihr gleich DREI Stücke zum Preis von einem. Und das ist, würde Liesl sagen, „kein diskont oder so, das ist luxus!“. Wir ballern theatral alles ab, was geht. Das Thema ist ernst, aber der Unterhaltungswert ist tatsächlich unglaublich groß. Und ich schwöre, so habt ihr Tangas noch nie gesehen.
TAKBlog: Worüber werden hinterher alle reden?
Ragna Kirck: Über das Gaffa-Tape natürlich! Und hoffentlich auch über das in Zukunft veränderte Konsumverhalten (keine Angst, das tut gar nicht weh).
TAKBlog: Was wird niemand verstanden haben?
Ragna Kirck: Ich versteh die Frage nicht?
TAKBlog: Was werden alle lieben?
Ragna Kirck: Die Liesl. Oder doch die Kathi? Nein, warte, bestimmt die Hanni. Hach, das ist aber auch schwer!
TAKBlog: Beschreib dein Ensemble/Team in maximal 5 Sätzen.
Ragna Kirck: Wir sind, in schlichten Worten, die Crew, die mit allem fertig wird. Drei wahnsinnig talentierte Jungschauspielerinnen, ein lebenserfahrener Bester Mann, eine pfiffige Assistentin voller geheimer Fähigkeiten, ach ja, ich bin ja auch noch dabei 🙂 Vielleicht ist das wirklich Besondere das endlose Vertrauen, mit dem wir uns alle jeden Tag in der Arbeit begegnen. Und der Vibe, auf dem wir alle miteinander durch dieses Stück surfen. Wenn es läuft, läuft es einfach!
TAKBlog: Was ist das Wichtigste, dass deine Schauspielerinnen in den Proben gelernt haben?
Ragna Kirck: Jodeln. Haha. Nein, ich glaube, sie haben gelernt, dass sie unglaublich viel erreichen können. Das von sich zu wissen, finde ich sehr wichtig.
TAKBlog: Was reizt dich an der Theaterarbeit mit jungen Menschen?
Ragna Kirck: Weiterzugeben und dabei herausgefordert zu werden. Boden für’s Wachsen zu bereiten und hier und da mal kurz eine Rankhilfe hinzustellen. Die große Freude, wenn man merkt, man hat etwas bewegt, irgendwo geholfen, eine positive Veränderung unterstützt. Und das unbedingte Wollen. Das darf man nämlich selbst nicht loslassen und daran wird man dann vorzüglich immer erinnert.
TAKBlog: Dein Lieblingszitat aus dem Stück?
Ragna Kirck: glaubst du man kann irgendetwas erreichen // irgendetwas von relevanz // wenn man innerhalb des systems bleibt? (Okay, aber heimlich ist unser aller Lieblingszitat: „aber gefickt wird hier nur freiwillig“)
TAKBlog: Inwiefern lernen wir Ragna Kirck persönlich kennen in ihrer Inszenierung?
Ragna Kirck: Ich bin ja jeden Abend da 🙂
Ich glaube, diese Arbeit atmet in jeder Sekunde mit meinem Herzen, da steckt so viel von mir drin, das ist nicht in ein paar Worten zu sagen. Ich bin mir aber sicher, dass man es spürt. Dafür muss man allerdings vorbeikommen! Nur wer dabei war, kann hinterher sagen, ich war dabei!
Über Die Textil-Trilogie von Volker Schmidt:
Die Welt steht Kopf: Dort, wo früher billig produziert wurde, herrscht heute Reichtum, und die einst reichen Industriestaaten Europas sind zu Billigländern geworden. Liesl, Kathi und Hanni – drei Näherinnen in einer großen Textilfabrik – kämpfen ihren täglichen Kampf gegen ein prekäres Leben. Um diesem zu entkommen bleibt nur die Flucht über die Grenze in eines der abgeschotteten Industrieländer. Aber auch hier nichts als illegale Arbeit, Prostitution und Ausbeutung. Was sollen sie tun? Gehen? Bleiben? Und worin liegt dann das Glück? Bitterböse zeichnet Volker Schmidt das Schicksal seiner drei Protagonistinnen in einer unbarmherzigen, durchökonomisierten Welt.
„jetzt aber // mädels // jetzt geht’s los // jetzt mischen wir hier mal // alles so richtig auf // habt ihr durst? // ich hab hier bier // ein kasten bier // der reicht für uns alle // und wenn wir hunger haben // dann essen wir einfach dieses fette schwein // wir sind doch die wilden hier // wir sind doch die europäer // prostmahlzeit“
Eine Produktion des Akademietheater e.V. in Kooperation mit der Theaterakademie Köln.
Regie: Ragna Kirck
Spiel: Tatiana Feldman, Noelle Fleckenstein, Franziska Schmid
Regieassistenz: Alice Janeczek
Bester Mann: Michael Brücken
Licht: Gregor Weber
Technik: Benedict Dörpinghaus
Spieltermine:
Do., 2.5.2019, 20h PREMIERE
Fr., 3.5.2019, 20h
Sa., 4,5,2019, 20h
Mi., 15.5.2019, 20h
Do., 16.5.2019, 20h
Fr., 17.5.2019, 20h
Sa., 18.5.2019, 20h
Spielort & Tickets: Orangerie Theater im Volksgarten
Auszug aus dem politischen Statement, das im Programmheft der Inszenierung abgedruckt werden wird:
„Noch immer sterben jeden Tag Menschen beim verzweifelten Versuch, das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Noch immer werden überall auf der Welt massiv Menschen ausgebeutet, damit andere Menschen sich ein Leben auf hohem Niveau ermöglichen können. Noch immer entstehen weltweit Kriege, gepeitscht durch Armut, Hunger und mangelnde Bildung. Hier brennt kein Dachstuhl. Hier schauen wir auf einen Flächenbrand. Und weil dieser Vergleich eben doch zulässig ist: Ganz Aleppo liegt in Schutt und Asche. Wer wird spenden, um Aleppo wieder aufzubauen? Ja! Es ist legitim, dass wir uns um unsere Probleme kümmern, hier in Europa. Das ist sogar unsere Aufgabe.“ – Ensemble (Auszug)
Ragna Kirck (* 1973) ist Regisseurin, Kulturmanagerin, Dozentin für Regie, Szene, Kinder- und Jugendtheater sowie Rolle an der Theaterakademie Köln, Dramaturgin, Autorin und Coach. Sie studierte Tiermedizin, Anglistik und Germanistik in Hannover, Regie bei Hans Hollmann an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt/Main sowie Kultur- und Medienmanagement am KMM Hamburg.
Zuletzt inszenierte sie am CASAMAX Theater „Heimat A.T.“ über das die Kölnische Rundschau schreibt:
„Wir sitzen drinnen, und Azmi ist draußen. Er reißt die Tür auf, stürmt rein: Er hat Angst und bittet um Hilfe. Spricht uns an, die wir überall sind, bunt verteilt im Raum sitzen. Mit einer simplen Bildidee zieht die Regisseurin Ragna Kirck die Zuschauer im CASAMAX Theater gleich hinein in ihr Thema; zeigt, was ein Kind fühlt, das nach der Flucht vor dem Krieg gut in Deutschland angekommen ist. Oder doch nicht ganz so gut, denn mit Absicht heißt ihr Jugendstück „Heimat A.T.“ – für Arbeitstitel.“
Das sagt Ragna Kirck über sich selbst in ihrem ersten Kurzinterview auf dem TAKBlog: Ich finde aber, Vitae erzählen nur die falschen Dinge und geben gar keine Antwort auf die Frage, wer man ist. Sie sind auf hübsch gebürstet, sie sprechen nur von den offiziell erfolgreichen Seiten des eigenen Lebens. Sie verschweigen genau das, wodurch sich unsere Persönlichkeit formt und was uns zu dem Menschen macht, der wir sind. Dass ich das so sehe, erzählt vielleicht einiges darüber, wer ich bin.
Ich bin zuvorderst Mensch. Als Mensch ist mir wichtig, hinter die Fassaden zu schauen. Werte zu haben und diese zu vermitteln. Sich an diesen auch selbst zu messen und messen zu lassen. An andere Menschen zu glauben. Empathisch zu sein. Politisch zu sein. Vom guten Gedanken auszugehen, nicht vom schlechten. Nicht Glück zu suchen, sondern Zufriedenheit. Angst zuzulassen. Mutig zu sein. Für etwas einzustehen und auszuhalten, wenn es Gegenwind gibt.
Ich bin Mutter. Ich habe eine inzwischen 11jährige Tochter. Ich finde sie wichtiger als alles Theater der Welt. Da geht nichts zwischen, nichts drüber. Menschen sind wichtiger als Kunst. Menschen sind wichtiger als Kunst. Menschen sind wichtiger als Kunst. Das ist eine ganz entscheidende Lehre.
Ich bin Aktivistin. Es fällt mir schwer, stillzuhalten. Ich stehe enorm auf Handeln und Lösungsorientierung.
Ich bin zu faul. Ich brauche sehr viele Pausen. Finde ich. Wenn ich mich selbst betrachte. Glaubt mir aber keiner.
Ich bin Zweiflerin. Ich arbeite noch immer hart daran, mein inneres „Ja“ größer zu machen als mein inneres „Nein“.
Ich habe kein einziges meiner Studienfächer abgeschlossen. Ich habe immer exakt beim Stand „scheinfrei für die Abschlussprüfung“ die Biege gemacht. Ich hasse Abschlüsse. Und ich hasse Papiere, auf denen steht, dass man etwas kann. Ich verstehe den Sinn dahinter nicht. Es ist nur Papier. Das ist aber sehr unvernünftig und nicht zu empfehlen. Aus ganz vielen Gründen! Aber ich habe mich selbst nie an dieses Wissen gehalten. Die gute Nachricht ist: Es funktioniert trotzdem irgendwie.
Ich mag den Sommer. Ich brauche den Sommer. Der Winter macht mich fertig. Ich bin ein Licht-Junkie. Dass ich beim Theater gelandet bin, ist so gesehen wirklich idiotisch. Immer diese dunklen, schwarzen Kellerräume. Aber ich kann nicht anders.
Ich habe viele Jahre Stadttheater gemacht. Jetzt bin ich seit Jahren in der Freien Szene. Ich würde gerne behaupten, dass ich das eine nicht mehr cool fand und darum das andere tue. Das stimmt auch in Teilen, ist aber, Achtung, geschönte Vita, nur ein Teil der Wahrheit. Stadttheater ist ein System, und in diesem System habe ich nicht mehr gut funktioniert.
Das hat auch das Stadttheater gemerkt und mich immer weniger angefragt. Im System Freie Szene funktioniere ich besser. Aber tatsächlich genauso nur begrenzt. Ich bin eine Mischform, die so nicht vorgesehen ist, zwischen diesen Systemen. Ich suche immernoch meinen Platz. Hinzu kam aber auch: Regie am Stadttheater funktioniert nicht, wenn man die Priorität „Kind“ setzt, sich vom Kindsvater trennt und das Leben komplexer wird. Irgendwann bin ich älter und meine Tochter auch. Mal gucken, was dann passiert.
Mehr über das Casamax Theater erfährst du auf der Website sowie auf der Facebook-Seite des freien Theaters.
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