Schauspielausbildung

We too – ein Kommentar

Missbrauch, Mobbing, #metoo – Die Skandalerschütterte Theater- und Filmbranche diskutiert die Machtfrage. Langsam entwickeln sich Lösungsansätze und Beratungsstellen werden eingerichtet. Doch wie sieht es an der Basis aus? Welchen Auseinandersetzungen müssen sich die Schauspielschulen stellen?

Das Thema Machtmissbrauch in der Schauspielerei ist derzeit omnipräsent. Angefangen hat die aktuelle Diskussion auf internationaler Ebene mit dem Bekanntwerden des Missbrauchs von Schauspielerinnen durch den US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein. In Europa und Deutschland folgten dann die Vorwürfe gegen Matthias Hartmann in seiner Zeit als Burgtheater-Intendant und Dieter Wedel als Täter in der deutschen Filmbranche. Das Klischee von der „Besetzungscouch“ wurde durch die abartigen Auswüsche mal wieder bestätigt. Gerüchte um Mobbing am Schauspiel Köln halten die Diskussion am Laufen.

Von den Tätern oder Verdächtigten (es sind überwiegend Männer) kommt häufig derselbe Einwand: So seien halt die Gepflogenheiten am Theater oder im Film.  Nicht weniger schlimm als die Taten selbst sind die Versuche, diese als traditionelle Herangehensweisen zu verharmlosen.

Natürlich ist die Schauspielerei ein sehr spezieller Beruf. Die Arbeitsweisen sind außergewöhnlich, die Grenzen des Intimen und Persönlichen werden sehr schnell erreicht und oftmals überschritten. Die Abhängigkeit vor allem der Schauspieler*innen von ihren Arbeitgeber*innen sind teilweise immens aufgrund von kurz- und kürzestfristiger Beschäftigung und unverhältnismäßig hoher Arbeitsbelastung. Aber trotzdem hat niemand hat das Recht, sich Mitarbeiter*innen gegenüber wie ein A…….. zu benehmen. Hier sollte sich der Schauspielberuf von keiner anderen haupt- oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit unterscheiden, in der es Abhängigkeitsverhältnisse gibt. Also quasi überall.

Dank der großen Aufmerksamkeit hat sich auch schon etwas bewegt. So gibt es mittlerweile vom Deutschen Bühnenverein eine Anlaufstelle für Opfer von Machtmissbrauch an den Theatern.

Wie sieht es an Schauspielschulen aus?

Das Thema ist heikel. Denn es gibt tatsächlich einen immensen Wildwuchs da draußen. Der Schauspielberuf ist nicht gesetzlich geschützt. Jeder Mensch kann sich in Deutschland selbst zur Schauspieler*in erklären – und dann auch ausbilden. Natürlich ist dadurch noch lange nicht jede Schule staatlich genehmigt, gleichwertig als Berufsfachschule anerkannt und somit auch BAFöG-berechtigt wie die Theaterakademie Köln es seit rund 20 Jahren ist. Aber der Traum, Schauspielerin und Schauspieler zu werden, ist groß bei jungen Menschen, die dann oftmals nicht vergleichen oder so genau hinschauen.

Wir Ausbilder haben Macht. Wir besitzen etwas Besonderes: den Zugang zu einem Arbeitsmarkt durch einen Abschluss, den wir verleihen: das Schauspieldiplom. Da eine private Schauspielschule finanziell nicht gefördert wird, finanzieren wir uns durch Schulgeld und Kursgebühren. Und hier kommt zur Macht das wichtige Gegenstück: die Verantwortung. Auf das Risiko hin, als Nestbeschmutzer angesehen zu werden, kann ich nicht alle Ausbilder*innen in Schutz nehmen. Neben den vielen, vielen tollen und aufrichtigen Ausbildungs-Institutionen für Schauspiel gibt es auch schwarze Schafe, die den Ruf der privaten Schauspielschulen diesbezüglich beschädigen.

Wie gehen wir an der Theaterakademie Köln damit um?

Wir haben jedes Jahr weit mehr Bewerber*innen zum Vorsprechen, als wir aufnehmen. Da wir Wert auf Qualität legen (was auch sonst?), nehmen wir maximal 16 Menschen in einer neuen Klasse auf. Das sind im Durchschnitt 20% der Bewerber*innen.

Natürlich ist es verlockend, mehr als diese Zahl aufzunehmen. Wir würden auch niemals Menschen nach Hause schicken, die wir toll finden und die gerne bei uns studieren wollen. Aber ab 16 Teilnehmer*innen müssen wir überlegen, eine zweite Klasse aufzunehmen. Wir haben also ein großes Interesse daran, dass die Schauspielschülerinnen und Schauspielschüler auch zu uns kommen wollen. Und hier liegt der Hase im Pfeffer.

Warum erzähle ich das alles? Wir reden über Machtmissbrauch. Und was eine aufrichtige und so gut es geht transparente und nachvollziehbare Auswahl im Bewerbungsverfahren an den Schauspielschulen angeht, wird mit der begehrten Ressource Ausbildungsplatz geschachert. Es ist leicht, Menschen zu verführen. Vor allem junge Menschen, die händeringend eine Schauspielschule suchen, die sie nimmt.

Oftmals sind sie in den Bewerbungen an den Hochschulen ausgeschieden und wollen endlich irgendwo ankommen. Junge Menschen in eine Zeit- und Kostenintensive Ausbildung aufzunehmen, von denen man ziemlich sicher weiß, dass sie am Ende den Maßstäben für einen Abschluss nicht genügen werden, ist absolut nicht okay.

Es ist leicht, die eigene Arbeit, Methode, oder das Schulkonzept mythisch aufzuladen, hoch zu jazzen, in furiosen Workshops die Teilnehmer*innen an ihre Grenzen zu bringen (und darüber hinaus), die absolute Verausgabung, Hingabe und das sich unterwerfen fordern. Der Theatermacher, Musiker und Autor Veit Sprenger schreibt, auf diese Weise sei

„… die Systemgrenze definiert, die unsichtbare Schranke zwischen Wissen und Nichtwissen aufgebaut, ein heiliger Zirkel gezogen, in den man sich erst mal hineinbegründen muss. Das Ziel ist formuliert, der Raum hierarchisiert in Innen und Außen, und die Inszenierung der Autorität nimmt ihren Lauf.“ Mehr dazu hier.

Dabei geht es doch eigentlich darum, dass auch wir auf der Dozentenseite nichts wissen, in einem absoluten Sinne gesehen. „Zweifel ist der Weisheit Anfang“, sagt René Descartes. Natürlich gibt es viel Handwerk und Regeln der traditionellen Schauspielkunst, die man studieren sollte. Es gibt einen Kanon, den man kennen, Traditionen und Lehren, die man bearbeitet haben sollte. Aber in der Kunst geht es meiner Meinung nach um Freiheit. Und Freiheit braucht die Möglichkeit, zu scheitern, Fehler zu machen, etwas zu riskieren, damit letztlich etwas neu entstehen kann, was sich erst im Ausdruck der jungen Künstlerin verwirklicht.

Schauspielschule braucht Augenhöhe

Eine Schauspielschule sollte kein Ort der intensiv spürbaren Hierarchien sein. Dieses beflügelt sonst eine Haltung von Meisterschaft, die es zu erlangen gäbe. Ein Nacheifern den Meisterinnen und Meistern, an deren Größe man teilhaben darf. Die Zeit der Alten Meister ist vorbei, ihre Macht ist aber häufig noch spürbar. Hier wäre mal ein Exorzismus nötig. Denn auch die Besprechung und Bewertung von Projekten, Szenen, Texten oder Inszenierungen ist schnell ein Kampf um die Deutungshoheit über künstlerische Ergebnisse. Nachbesprechungen von künstlerischen Präsentationen sind nicht automatisch frei von Gewaltakten.

Am Anfang dieses Beitrages wurde die oft benutzte Entschuldigung der „Gepflogenheiten am Theater“ genannt. So sei es halt in der Schauspielerei. Aber es steht nirgendwo, dass dies ein Naturgesetz sei. Ändern wir daher doch einfach die Gepflogenheiten, Methoden, Rituale, Beziehungen.

Wir an der Theaterakademie Köln verfolgen ein klares Ziel: Unsere Schauspielschüler*innen sollen mündige und selbstbewusste Künstler*innen sein, die vor allem im Kontext freiberuflichen Arbeitens zurechtkommen. Das heißt mal an einem Haus, mal frei, heute Theater, morgen ein Tag Film oder Synchron, später Moderation oder Regie, und dazwischen zum Beispiel ganz viel unterrichten, damit Kohle reinkommt.

Anders als vielleicht bei Absolvent*innen der staatlichen Hochschulen ist die Quote derer recht gering, die dauerhaft im System Stadttheater arbeiten. Das bedeutet, der künstlerische Nachwuchs muss kommunizieren können, empathisch Gruppen leiten, sich in immer neuen Bewerbungsrunden nicht nur als Powerplayer, sondern auch als Teamplayer beweisen.

Das geht natürlich nicht von alleine. Es braucht einen Lehrplan, der über die handwerklichen Fächer hinaus Grundsteine legt für einen nachhaltigen Umgang mit den Stressfaktoren des Berufes. Die theoretischen Grundlagen und ganz praktische Übungen für eine dementsprechende Haltung zu sich und dem Beruf manifestieren sich bei uns zum Beispiel in den Fächern „Kontexte der freien Theaterarbeit“ von Judith Ouwens und „Emotionales Selbstmanagement“ von Safed Ulrike Dreekmann, beide langjährige Dozentinnen an der Theaterakademie Köln.

Wichtig ist die Gemeinschaft

Die Schauspielschülerinnen und Schauspielschüler bekommen sehr früh Verantwortung für sich, für die Gruppe, die „Gemeinschaft Schauspielschule“. Was dabei an Ergebnissen herauskommt, reflektieren wir nicht als harsche Kritiker mit dem Lehrbuch in der Hand. Wir besprechen die Ergebnisse im kollektiv nach den Grundsätzen guten Feedbacks, wie es beispielsweise von der niederländischen Theaterschule DAS ARTS formuliert wurde.

Wir bilden so aus, dass wir uns freuen können, wenn unsere Absolvent*innen später bei uns unterrichten – was sie immer wieder gerne und gut tun: menschlich, auf Augenhöhe, gewaltfrei und kompetent.

Leider höre ich immer wieder, dass das oben genannte Cliche der Besetzungscouch auch an den Schauspielschulen noch präsent ist. Und zwar sowohl wenn es um die Auswahl geht, als auch später in der Schauspielausbildung. Eine gesunde Distanz ist in dieser Schulform, in der man sich sehr schnell sehr intensiv kennenlernt und begegnet (die Schülerinnen und Schüler untereinander), ein wichiges Mittel, um in der Balance zu bleiben.

Dass wir uns duzen und sehr persönliche Themen verhandeln, heißt nicht, dass es sich bei den Schülerinnen und Schülern nicht um Schutzbefohlene handelt. Das Leitungsmodell des autoritären weißen Mannes ist doch sehr präsent, und es birgt Risiken. Als leitender weißer Mann glaube ich, das sagen zu dürfen. Ich möchte hier ein Zitat des Chefs des Deutschen Bühnenvereins Marc Grandmontagne leicht abwandeln: „Es gibt zum Beispiel eine Generation von (Schauspielschulleitern), die noch mit einem anderen Machtbewusstsein und einem anderen gesellschaftlichen Bild aufgewachsen sind.“ Mehr dazu hier.

Missbrauch droht dort, wo es keine klaren Regeln gibt im Umgang mit der Machtfülle einer Leitung. Und diese Regeln gelten eigentlich immer auch überall sonst. Basta.

Das Londoner Royal Court Theater hatte eine Reihe von Missbrauchsvorfällen zu ertragen, und gab sich in der Folge einen expliziten Verhaltenscodex. Der erste Absatz widmet sich in brillanter Klarheit dem Thema Verantwortung, und zwar global gedacht und für jede Ebene:

„ You must take responsibility for the power you have. Do not use it abusively over others more vulnerable than you. Think about what you want, why you want it, what you are doing to get it, and what impact it will have. If this is achieved, the problem is solved.“ Hier kannst du das Original lesen.

von Robert Christott, Schulleiter an der Theaterakademie Köln

Was ist deine Meinung zu diesem Thema? Schreib uns eine Mail an info@theaterakademie-koeln.de. Mit deiner Zustimmung (gern auch Anonymisierung) veröffentlichen wir deinen Kommentar unterhalb des Artikels.

Robert Christott , Jahrgang 1978, ist Schauspieler und Kulturmanager. Studiert hat er an der Schauspielschule Theaterakademie Köln (TAK) und der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
Er ist seit 2013 Inhaber und Leiter der TAK und Vorsitzender des Orangerie Theaters im Volksgarten Köln. Robert ist verheiratet und hat zwei Kinder.