Zu wenig Wertschätzung ist meist der Grund dafür, dass ein Vorsprechen misslingt, findet unser Gast-Autor Frank Oppermann. Wir haben den Schauspieler gebeten, eine Kolumne für uns zu schreiben. Herausgekommen ist ein Bogen vom Neujahrsvorsatz über Castings bis hin zur Frage, wie wir arbeiten wollen. Aber lest selbst!
2019 – ein neues Jahr, ein neuer Start und viele gute Vorsätze!
Obwohl sich ja alles im Fluss befindet und es nur selten zu wirklichen Zäsuren kommt, die einen Neuanfang oft erst möglich machen, ist es ganz gut mal einen Jahreswechsel als Grund für einen Rückblick zu nutzen. Es bietet sich die Möglichkeit nochmal zu hinterfragen und eventuell im eigenen Verhalten, in den eigenen Perspektiven Korrekturen oder Anpassungen vorzunehmen. Damit wiederum gibt man möglicherweise auch Anstöße für Prozesse, die einen nicht nur selbst betreffen.
Ich habe mir in den vergangenen Monaten unglaublich viele Produktionen angesehen. Das hat in den meisten Fällen sehr viel Spaß gemacht. Dabei habe ich viele wirklich talentierte und überzeugende SchauspielerInnen erleben dürfen. Ich habe viele Inszenierungen gesehen, die mich erreicht und manche, die mich unerwartet gepackt haben. Ich habe das nicht nur wegen der eigenen Lust am Theater gemacht, sondern weil ich mir im Zuge meiner eigenen Bewerbung, nämlich um die Übernahme und Fortführung des Kleinen Theater Bad Godesberg, den „Markt“ genau anschauen wollte und musste. Ich habe fast ausschließlich große Spielfreude erlebt, großartige Bühnenbilder und Kostüme und viele vom Publikum gefeierte Produktionen. Und doch bleibe ich hängen an dem, was nicht überzeugt hat. Wo kein Funke übergesprungen ist, wo Schwächen deutlich wurden. Woran liegt das? Bin ich zu kritisch geworden? Bin ich übersättigt? Fehlt es an Qualität oder Professionalität?
Ich glaube, es liegt vor allem an der hohen Geschwindigkeit in der Kreativität erzeugt, produziert wird.
Es gibt vielfach keine Zeit, sich Details zu widmen. Details, die zunächst nicht offensichtlich waren, zu hinterfragen. Befindet man sich untereinander auf der gleichen Ebene der Interpretation? Soll die eigene Umsetzung die eigene oder eine fremde Erwartung erfüllen? Das betrifft sowohl die SchauspielerInnen, als auch die RegisseurInnen. Und wenn es dann eventuell noch an Empathie oder Kommunikation untereinander mangelt, dann wird das Manko schnell augenscheinlich. Dann fehlt der „Funke“. Oder schlimmstenfalls passieren Pannen am laufenden Band. Und dann leidet nicht nur die Produktion, dann leidet letztendlich jeder Beteiligte darunter.
Wie kann man dem entgegenwirken? Ich bin überzeugt, dass dies letztendlich durch noch höhere Wertschätzung zu bewerkstelligen ist. Wertschätzung untereinander und dem gemeinsam zu erarbeitenden Werk gegenüber. Und da ist es ziemlich egal, ob wir uns in E oder U befinden, ob es um intellektuell herausfordernde Theaterarbeit oder um einfache Unterhaltung geht. Wenn ich meine aufrichtige Wertschätzung erhöhe, erhöhe ich den Anspruch und damit auch die Qualität.
„Ich verneige mich vor allen, die sich diese Zeit nehmen, sie möglich machen und/oder sie durchsetzen. Das zeigt die hohe Wertschätzung dessen, was den künstlerischen Beruf ausmacht.“
Dann entstehen „magische Momente“ viel einfacher. Momente der Wahrhaftigkeit, die ich dann erreiche, wenn ich mich – wie Paul Newman es einmal als Präsident des Actors Studio beschrieb – fühle, als ob ich mich als Rennfahrer kurz vor dem Ausbrechen in einer Kurve befinde, um mit dieser Gratwanderung zwischen höchstem Risiko und Bewahrung der Kontrolle, das beste Ergebnis zu erreichen. Dazu braucht es nicht nur Selbstvertrauen. Dazu braucht es auch an Vertrauen in das Umfeld. Das kann im Alltag einer/s SchauspielerIn sicher nicht immer abrufbar und reproduzierbar sein. Aber es kann – und ich finde – es sollte Anspruch sein. So etwas sollte man dann aber zu irgendeinem Zeitpunkt in den Proben einer Produktion zumindest im Ansatz mal erlebt haben.
Aber in einem Umfeld, wo fast alles unter „Kostendruck“ realisiert werden muss, fehlt für eine solche Probenzeit oft schlicht und ergreifend die Zeit. Ich verneige mich vor allen, die sich diese Zeit nehmen, sie möglich machen und/oder sie durchsetzen. Das zeigt die hohe Wertschätzung dessen, was den künstlerischen Beruf ausmacht.
Und da kommen wir wieder zu diesem wunderbaren Begriff, der Wege und Projekte möglich und leichter macht: gegenseitige Wertschätzung!
Und warum sollte ein solcher Wert dann nicht die Basis für gute Vorsätze sein?Für Justierungen und Korrekturen in der eigenen Haltung, in den eigenen Perspektiven? Aus der eigenen Anwendung dieser Haltung eine Gegenseitigkeit herzustellen, kann in Folge sicher viele Türen öffnen und Chancen erschaffen.
Im Alltag der SchauspielerInnen fängt dies schon oft beim Vorsprechen an.
Es geht vielfach um Erwartungen, von denen uns allen klar ist, dass sie enttäuscht werden können. Die Erwartungen der Caster oder der Besetzungskommission liegen in der optimalen Besetzung und darin, diese Besetzung in kurzer Zeit und nicht selten unter einer großen Anzahl von Bewerbern zu finden: Dieser Jemand, der die individuellen Vorstellungen über das Profil der Rolle weitgehend erfüllt.
Die/der SchauspielerIn/DarstellerIn will den Job und versucht dann möglicherweise wiederum die Erwartungen, die sie/er meist nur ahnen kann, zu erfüllen. So entsteht Druck. So entstehen häufig Situationen, die nur schwerlich als gelöste Arbeitssituationen benannt werden können.
Es gibt viele gute Schauspieler, die sich mit einer solchen Situation nicht wohlfühlen. Obwohl sie auf der Bühne brillieren, können sie dies beim Vorsprechen nicht zeigen. Auch das kann vor allem durch eine Erhöhung der gegenseitigen Wertschätzung gelöst werden. Die Kommission oder die Caster müssten diese Vorsprechen so gestalten, dass es nie zu einer „Castingshow“ wird, in der Talente nach „gut“ oder „schlecht“ bewertet werden. Die Vorsprechenden haben sich die Bühnenreife schließlich in aller Regel schon erarbeitet. Es geht nicht darum, herauszufinden, ob sie ihren Beruf können. Es geht um die Besetzung, die bestimmte Kriterien erfüllen soll. Und das bringt man mit oder eben nicht, ohne dass dies etwas mit der eigenen Qualität zu tun haben muss. Das muss beiden Seiten klar sein. Wenn einem das als Bewerber und Vorsprechender bewusst ist, muss man sich vor einer Enttäuschung durch eine Absage auch nicht schützen. Denn bei einer Absage sollte wirklich nie im Fokus stehen, ob jemand gut oder schlecht vorgesprochen hat, sondern, ob sie/er gepasst hat oder nicht.
Wissen, für was man vorspricht
Um auf solche Anforderungen möglichst gut vorbereitet zu sein, ist es von größtem Vorteil zu wissen, für was man vorspricht. Es ist hilfreich sich über Stück, Rollenprofil und RegisseurIn zu informieren. Leider sind das nicht immer Informationen, die selbstverständlich in Ausschreibungen zu finden sind. Aber man kann ja fragen und sollte dies auch tun. Entsprechend sollte auch die Wahl der Rolle/-n für das Vorsprechen ausfallen. Es sollte auf jeden Fall etwas dabei sein, was der Rolle oder der Produktion, um die es geht, in etwa entspricht. Was nicht heißen soll, dass man nicht auch Bandbreite zeigt. Weniger entscheidend aber ist, etwas zeigen zu wollen, was noch nie jemand gesehen hat. Vielmehr sollte man zeigen, womit man sich repräsentiert fühlt. Und womit man souverän seine Stärken zeigt. Widmer, Kushner, Hacks, Groß oder Schiller, Kleist, Shakespeare – die Theaterliteratur bietet unendlich viele wunderbare Vorlagen für sämtliche Facetten.
Ich persönlich finde es sehr gut, wenn etwas aus der Produktion selbst präsentiert werden kann und dies idealerweise vorher von den Ausschreibenden angeboten wird. Auch hier lohnt sich ein interessiertes Nachfragen. Und wenn man diesmal nicht auf ein Rollenprofil gepasst hat, ist man beim nächsten Mal vielleicht schon in der Erinnerung.
Geschieht all dies in höchstmöglicher gegenseitiger Wertschätzung, haben wir nicht nur etwas für die Qualität unserer Arbeit erreicht. Wir haben auch Bedingungen für ein menschliches Miteinander in unserem Arbeitsalltag geschaffen, die dann mit gutem Recht als Vorbild für das gesamtgesellschaftliche Miteinander stehen dürfen. Auf einer solchen Basis lässt sich übrigens auch glaubhafter Kritik üben. Denn oft wollen wir mit unserer Arbeit ja einen Spiegel vorhalten oder auf etwas aufmerksam machen. Eine höhere Ebene wäre erreicht. Schöne Aussichten für ein neues Jahr und überhaupt, wie ich finde!
„Frank Oppermann, 1966 in Brühl geboren, lebt heute in Bonn. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Beginn eines Jurastudiums studierte er von 1991 bis 1995 an der Folkwang Universität der Künste in Essen bei Kammersängerin Catherine Gayer (Gesang) und Werner Wölbern (Schauspiel). 1994 ging er schon in sein erstes Engagement und spielte seitdem zahlreiche Hauptpartien, vor allem im Musicalbereich. 1996 war er Gründungsmitglied des Kabarett-Theater Neu-Ulm und hatte unter dem Pseudonym Candyboy eine deutsche Chartplatzierung. Parallel dazu arbeitete er auch als Feature-Sprecher für den WDR. Durch den Tod seines Vaters leitete er zwischen 1998 bis 2010 das elterliche Unternehmen, wickelte es ab und kehrte danach wieder in seinen eigentlichen Beruf als freier Schauspieler und Musicaldarsteller zurück. Von 2016 bis 2018 war er festes Mitglied des Ensemble Phoenix in Köln und ab 2017 dessen kaufmännischer Leiter und seiner neuen Spielstätte, des von ihm wieder in „Urania“ umbenannten Theaters, in Köln-Ehrenfeld. Seit Ende Januar 2018 ist er wieder frei als Schauspieler, Sänger und Regisseur in verschiedenen Projekten tätig und hatte sich zwischen Juli 2016 und Dezember 2018 um die Fortführung und Übernahme des Kleinen Theaters Bad Godesberg bemüht. Beim Kölner Männer-Gesang-Verein ist er für die Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederbetreuung verantwortlich.“
Titelbild: Victor Garcia/ Unsplash
Szenenfotos: Uwe Rosenhahn (KMGV)
Portrait: privat